Im November 2000 verklagte die Europäische Union (EU) drei Zigarettenkonzerne wegen ihrer Schmuggelaktivitäten vor einem US-amerikanischen Gericht. Einige Monate später begannen geheime Verhandlungen zwischen der EU und Philip Morris International (PMI), die in die Beilegung des Rechtsstreits durch ein Antischmuggel-Abkommen im Juli 2004 mündeten. In diesem Jahr endet der Vertrag mit PMI.

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Heute hat das EU-Parlament in Straßburg eine Resolution verabschiedet, dass dieser Vertrag nicht erneuert werden soll.

Wir freuen uns über den Erfolg der Gesundheitsorganisationen rund um Smoke Free Partnership, Association of European Cancer Leagues und der European Public Health Alliance.

Abkommen zwischen Konzernen und EU

Die EU hat derzeit Verträge mit vier Konzernen zur Bekämpfung des Zigarettenschmuggels. Im Kern haben sich die Konzerne

a) von der strafrechtlichen Verfolgung zu einem sehr günstigen Preis freigekauft: Von 2004 bis 2030 sollen die Tabakkonzerne „in Anerkennung der steuerlichen Verluste“ Zahlungen in einer Gesamthöhe von 1,9 Mrd. Euro an die EU und ihre Mitgliedsstaaten leisten, während die EU einen jährlichen Steuerverlust durch Schmuggel von ca. 10 Mrd. Euro verzeichnet.

b) zu Strafzahlungen bei erneuten Vergehen verpflichtet: Bei Beschlagnahmung von geschmuggelter Originalware werden Ausgleichszahlungen fällig, deren jährliches Mittel 8,3 Mio. Euro beträgt.

c) zur Rückverfolgung ihrer Produkte und zur Überwachung ihres eigenen Vertriebssystems verpflichtet: Mit Codentify hat die Industrie ein eigenes Rückverfolgungssystem entwickelt, dessen Wirksamkeit sie selbst kontrolliert.

Außerdem zeigen die Vereinbarungen einen großen Mangel an Transparenz. So sind die Vertragstexte nur in Teilen einsehbar und die Kontakte zwischen der europäischen Anti-Betrugsbehörde OLAF und den Tabakkonzernen bleiben geheim.

Industrie rieb sich die Hände

Die Abkommen sind gelungenes Corporate Social Responsibility für die Konzerne, die sich als Teil der Lösung für ein „gemeinsames“ Problem darstellen. Doch sie sind Teil des Problems.

Beispiel Strafzahlungen für erneute Schmuggelversuche:

  • Sie sind nur für Originalware fällig. Welche Zigarettenpackungen original und welche gefälscht sind, definieren die Konzerne.
  • Sie müssen erst ab einer Beschlagnahmung von mehr als 50.000 Stück bezahlt werden. Inzwischen wurden die Schmuggelaktivitäten auf kleinere Mengen angepasst.
  • Sie stehen in keinem Vergleich mit dem Steuerverlust durch Schmuggel. Die Ausgleichszahlungen entsprechen 0,08% der Steuerverluste durch Zigarettenschmuggel in der EU.

Durch die Abkommen hat die Tabakindustrie ein hervorragendes Werkzeug für ihre Lobbyarbeit gegen eine bessere Gesundheitspolitik. Sie verschaffen den Konzernen unter dem Vorwand der Schmuggelbekämpfung Zugang zu politischen Entscheidungsträger_innen und befördern eine Normalisierung ihrer Beziehungen zur EU.

Deutschland spielt(e) mit

Die deutsche EU-Abgeordnete Ingeborg Gräßle (CDU), einflussreiche Vorsitzende des Haushaltskontrollausschusses, sprach sich noch im Mai 2015 vehement gegen eine Verlängerung des Abkommens mit PMI und für mehr Transparenz über die Kontakte zwischen OLAF und der Tabakindustrie aus.

Im Dezember 2015 hieß es aus ihrem Büro, man warte auf die technische Bewertung der Abkommen seitens der EU Kommission und habe noch keine abschließende Position zur Verlängerung.

Am 27. Januar 2016 wurde die Baden-Württembergische Vertretung in Brüssel zum Lobby-Treffpunkt der Tabakindustrie. Auf Einladung von Gräßle trafen sich dort EU-Abgeordnete, Vertreter*innen von Nichtregierungsorganisationen, von Tabakkonzernen, der Antischmuggel-Behörde OLAF und Repräsentant*innen der WHO Tabakrahmenkonvention. Später wurde von einem Meinungsaustausch im Geheimen berichtet. So viel zur Transparenz.

Am 24. Februar 2016 veröffentlichte die Kommission sechs Monate zu spät die technische Bewertung, einen Tag vor der dazu anberaumten Parlamentsdebatte. Die dort eingebrachten Redebeiträge sind inzwischen in zwei gegensätzliche Resolutionen eingeflossen.

Für die heutige Sitzung brachte MEP Gräßle die Resolution, die eine Verlängerung des Abkommens befürwortet, ein. Begründung: Das Abkommen sei notwendig, solange das internationale Protokoll zur Bekämpfung des illegalen Tabakhandels nicht in Kraft sei. Wie groß der Einfluss der Lobbyaktivitäten der Tabakindustrie auf diesen Sinneswandel war, vermag niemand zu sagen.

Abkommen beenden – Strafverfolgung aufnehmen!

Die Ziele der Abkommen – Abschreckung und Eindämmung von Schmuggel – wurden nicht erreicht. Die durch die Abkommen entstandenen Kontakte zwischen Tabakkonzernen und politischen Entscheidungsträger*innen verlaufen intransparent und widersprechen dem Artikel 5.3 der WHO Tabakrahmenkonvention. Das zugehörige Protokoll zur Bekämpfung des illegalen Tabakhandels steht zur Ratifizierung bereit. Die neue EU Tabakproduktrichtlinie gibt ein Rückverfolgungssystem vor.

Daraus schließt Frau Gräßle, dass das PMI-Abkommen verlängert werden müsse.

Wir nicht. Wir schließen daraus:

  1. Das Abkommen mit PMI darf nicht verlängert werden! Es nutzt nur dem Zigarettenkonzern zur Imagepflege und als Lobby-Zugang.
  2. Stattdessen müssen strafrechtliche Ermittlungen gegen PMI aufgenommen werden, sobald neue Schmuggelaktivitäten bekannt werden.
  3. Deutschland muss unverzüglich dem Protokoll beitreten und dazu beitragen, dass die EU das Protokoll schnell ratifiziert.

Wir freuen uns über die nun verabschiedete Resolution, mit der die EU-Kommission aufgefordert wird, keine weiteren Verhandlungen zu führen und rechtliche Schritte gegen jegliche Schmuggelaktivitäten mit Beteiligung von PMI einzuleiten.

Die Resolution des EU-Parlaments ist zwar nicht bindend, aber mit einem Abstimmungsergebnis von 414 Ja-, 214 Nein-Stimmen und 66 Enthaltungen ist die Resolution ein sehr starkes Signal an die Kommission.

Weiterführende Informationen:

Luk Joossens, Anna B. Glimore, Michal Stoklosa, Hana Ross: Assessment of the European Union’s illicit trade agreements with the four major Transnational Tobacco Companies.

S. von Eichborn: Konzerne und Schmuggel (Vortrag 3.12.2015)

Tabaklobby in Brüssel

PMI: We have common ground with EU on tobacco smuggling (euobserver.com, 18.02.2016)

EU tobacco control policy must separate foxes from chickens (euobserver.com, 23.02.2016)

Anti-tobacco lobby urges MEPs to reject Philip Morris deal (euobserver.com, 03.03.2016)

Das Abkommen mit PMI darf nicht verlängert werden! Es nutzt nur dem Zigarettenkonzern zur Imagepflege und als Lobby-Zugang.