Philip Morris International (PMI) sieht durch die starke Tabakkontrollpolitik Uruguays seine Markenschutzrechte verletzt und befürchtet Umsatzverluste. 2010 leitete das Unternehmen daher ein Verfahren gegen Uruguay in die Wege und scheint an dem kleinen Land ein Exempel statuieren zu wollen.
Tabakkontrolle in Uruguay
Uruguay hat besonders ab 2005 sehr erfolgreiche Maßnahmen gegen Tabakkonsum eingeführt. 2006 sprach der damalige Präsident Vázquez von seiner Vision eines „rauchfreien Uruguay“. Aber auch 1979, als PMI seine erste Investition in Uruguay durch den Kauf des Importeurs und Herstellers von Tabakprodukten Abal Hermanos tätigte, war Tabakkontrolle schon seit einigen Jahren auf einem guten Weg. 2004 unterzeichnete Uruguay die FCTC und setzte die Regulierungspolitik fort. 2009 hatte PMI genug. Uruguay hatte beschlossen:
- 80% statt 50% der Fläche einer Zigarrettenschachtel sollten von nun an mit Warnhinweisen bedeckt sein. Dabei sollten auch Bilder abgedruckt werden, die die gesundheitschädigenden Folgen des Konsums verdeutlichen.
- eine Auswahl von 6 Bildern.
- dass es nur noch eine Linie einer Tabakmarke geben dürfe. Bezeichnungen wie „light“ und „mild“ waren schon verboten, nun sollten die Farbcodes, die „light“ und „mild“ symbolisch abgelöst hatten, auch verschwinden.
Das Fass läuft über
Beim dritten Punkt der verschärften Tabakrichtlinien lief für Philip Morris das Fass über. In einer Analyse, die der Rechtsexperte Todd Weiler im Auftrag von Physicians for a Smoke-Free Canada bezüglich der Tabakgesetze Uruguays und PMIs Forderungen anfertigte, erklärt dieser:
„In the tobacco industry, the most valuable assets are not plant, inventory or equipment. The most valuable investments maintained by any tobacco enterprise are its brands.”
Nach der Durchsetzung der neuen Richtlinien bliebe den Tabakfirmen kaum noch eine Möglichkeit, das Produkt mit ihrer Marke und dem darum gewobenen Image zu verbinden, welches aber für die Marktposition immens wichtig ist. Philip Morris fordert, in eigener Darstellung des Falles, Schadenersatz in Höhe von 25 Mio. US-Dollar:
„for actual damages caused by the regulations […]. Those damages are the direct result of Uruguay’s decision to disregard its commitments to investors, which include respecting and protecting investments such as intellectual property rights. The heart of this case focuses on such fundamental principles as the rule of law and whether or not Uruguay must keep the promises it makes.“
Das Schiedsgericht
Im März 2010 wandte sich PMI daher mit einem Antrag auf ein Schiedsgerichtsverfahren an das International Center for Settlement of Investment Disputes (ICSID). Das dreiköpfige Tribunal wurde im September 2010 berufen. Kläger und Beklagte wählten je einen Schiedsrichter, der Generalsekretär des ICSID ernannte den Präsidenten des Tribunals. Für gewöhnlich wählen die beiden Schlichter gemeinsam ihren Präsidenten, in diesem Fall kam es jedoch nicht zu einer Einigung. Deshalb trat Plan B in Kraft und der Generalsekretär hatte zu entscheiden. PMI wählte den US-Amerikaner Gary Born, Uruguay den Australier Prof. James Crawford und zum Präsidenten wurde Prof. Piero Bernardini bestimmt.
Im Juli 2013 wurde die gerichtliche Zuständigkeit des ICSID nach umfangreicher Entscheidungsfindung beschlossen, u.a. auch einer Anhörung der Argumente im Beisein von Anwält*innen, Expert*innen, Firmen- bzw. Staatsvertreter*innen beider Parteien im Februar 2013. Zu diesem Zeitpunkt waren drei Jahre seit Beginn der Vorwürfe gegen Uruguay vergangen.
Die rechtliche Grundlage der Klage bietet ein Investitionsschutzabkommen zwischen der Schweiz und Uruguay – der Switzerland-Uruguay Bilateral Investment Treaty (BIT) aus dem Jahr 1988. Ein solches Abkommen soll Unternehmen (bzw. natürlichen Personen) rechtlichen Schutz in einem fremden Staat in Bezug auf Investionen bzw. Eigentum sichern. Im Gegensatz zu anderen internationalen rechtlichen Verfahren kann PMI durch dieses Abkommen direkt gegen das Gastland vorgehen und muss sich nicht durch eine Regierung unterstützen lassen.
Worum es wirklich geht: Exempel
Dieser Fall ist wichtig. Nicht nur für Uruguay, das nicht nur für den Prozess selbst finanzielle und personelle Ressourcen abstellen muss, sondern auch verpflichtet werden könnte, eine hohe Summe an Philip Morris zu zahlen, sondern für alle Länder, die sich um striktere Tabakgesetze bemühen. Um für die Kosten aufzukommen, erfährt Uruguay großzügige finanzielle Unterstützung, zum Beispiel durch den Bürgermeister New Yorks, Bloomberg – ein politisches Signal.
Weltweit gibt es über 2000 Verträge, die dem bilateralen Investitionsabkommen zwischen Uruguay und der Schweiz ähneln. Jedes Land, das einen ähnlichen Vertrag entweder mit der Schweiz oder den USA geschlossen hat, könnte sich ähnlichen Forderungen gegenüber sehen. Das könnte besonders finanziell schwächere Staaten, Länder im Globalen Süden etwa, abschrecken ihre Tabakkontrolle auszubauen, denn abgesehen von einer Strafe kostet allein die Durchführung einer solchen Klage Geld und personelle Ressourcen:
“In my opinion the claim is nothing more than the cynical attempt by a wealthy multinational corporation to make an example of a small country with limited resources to defend against a well-funded international legal action, but with a well-deserved reputation as a worldwide leader in tobacco control.” (T. Weiler)
Der Rechtsexperte Todd Weiler vertritt den Standpunkt, PMI gebe mit dem Fall Uruguay ein bewusstes, politisches Statement ab, nicht nur eines über unmittelbare kommerzielle Interessen. PMI’s Marktanteil in Uruguay ist nicht unbedeutend, aber Uruguay hat nur 3.4 Millionen Einwohner_innen und so wären die unmittelbaren finanziellen Einbußen für den Konzern mit einem Nettoertrag von ca. 80 Mrd. US-Dollar (2013) durchaus zu verkraften. Diese Klage als Strategie von PMI könnte mehreres bedeuten:
- Abschreckung anderer Länder vor ähnlichen gesetzlichen Regelungen zur Tabakkontrolle,
- Abschreckung vor Plain Packaging Vorhaben und
- Abschreckung anderer Länder vor einem solchen Gerichtsverfahren mit ihnen.
Und nun?
Solche Investor-Staat-Klagen könnten in Zukunft zunehmen. Die umstrittenen Freihandelsabkommen TTIP, zwischen der EU und den USA, und CETA, zwischen der EU und Kanada, geben Investoren das Recht den jeweils anderen Staat vor internationalen Schiedsgerichten zu verklagen.
Kritikpunkte: Richter*innen werden nicht öffentlich bestimmt, nationale Gerichte werden umgangen. Aus Investorensicht ist das ein legitimer Schutz gegen eine möglicherweise parteiische Justiz. Aus Perspektive der Gegner*innen eröffnet sich hier ein gewinnträchtiges Feld für spezialisierte Anwält*innen und die Möglichkeit für Unternehmen, Staaten unter Druck zu setzen, um Gewinne zu sichern – ungeachtet nationaler Interessen, wie eben zum Beispiel gesundheits- oder umweltpolitischer Bemühungen.