222.222 wollen ein Lieferkettengesetz
Initiative protestiert mit mehr als 222.222 Unterschriften am Bundeskanzleramt – Kabinettsdebatte zu Lieferkettengesetz erneut verschoben
Zum ArtikelUnterstützen Sie uns dabei mit Ihrer Spende!
10 Euro für verpflichtende UnternehmensverantwortungDie Blockade ist beendet: Das Kabinett hat den Entwurf für ein Lieferkettengesetz im März 2021 verabschiedet. Während wir uns den Gesetzesentwurf durchlesen, fragen wir uns: sind das gute oder schlechte Nachrichten? Wohl beides.
Die guten Nachrichten: Endlich sollen Unternehmen gesetzlich verpflichtet werden, ihre Lieferketten auf Risiken für Menschenrechte und Umwelt zu untersuchen und Abhilfe zu schaffen. Nicht zuletzt ein Erfolg der Zivilgesellschaft, die sich in der Initiative Lieferkettengesetz dafür stark gemacht hat.
Die schlechten Nachrichten: An entscheidenden Stellen haben sich Wirtschaftsinteressen durchgesetzt. Der Entwurf hat viele Mängel, so dass der Bundestag dringend nachschärfen muss. Bleibt das Lieferkettengesetz so wie im aktuellen Entwurf, oder wird es sogar noch weiter verwässert, wird das Gesetz ein zahnloser Papiertiger, der kaum zu Verbesserungen in den globalen Lieferketten führt.
Was genau würde das Lieferkettengesetz in seiner jetzigen Form im Hinblick auf die Tabakindustrie bringen?
Das Lieferkettengesetz soll ab 2023 für Unternehmen gelten, die in Deutschland ansässig sind und mehr als 3.000 Mitarbeiter*innen haben. Ab 2024 auch für Firmen mit mehr als 1.000 Mitarbeiter*innen.
So betrifft das Gesetz ab 2024 drei Tochterfirmen der internationalen Tabakmultis: Japan Tobacco International GmbH (2120 Angestellte), Philip Morris GmbH (1.200 Angestellte) und Reemtsma Cigarettenfabriken GmbH (Tochter von Imperial Brands) (1.600 Angestellte).
Doch alle anderen Unternehmen der Tabakindustrie in Deutschland importieren natürlich auch Rohtabak aus Ländern wie Malawi, Bangladesch oder Sambia, in denen Kinderarbeit auf Tabakfeldern weit verbreitet ist und in denen die Tabaktrocknung immense Umweltschäden verursacht. Für sie soll das Gesetz nicht gelten, obwohl sie dieselben Lieferketten nutzen und obwohl es sich bei der Kinderarbeit im Tabakanbau um eine der schlimmsten Formen der Kinderarbeit (nach ILO Konvention 182) handelt.
Nein. Der Gesetzesentwurf spricht von abgestufter Sorgfaltspflicht. Die Unternehmen sollen lediglich zur Sorgfalt für die unmittelbaren Zulieferer verpflichtet werden. Nur wenn das Unternehmen gesicherte Kenntnis über Menschenrechtsverletzungen erlangt, dann ist die Sorgfalt auch für mittelbare Zulieferer zu erbringen.
Wenn also die Philip Morris GmbH bei einem Rohtabakhändler in Deutschland Tabak für die Zigarettenproduktion einkauft, endet auch genau da die Sorgfaltspflicht – also in Deutschland. Alle Stationen vorher sind nicht einbezogen, es sei denn, die Firma hat gesichertes Wissen über bestehende Menschenrechtsverletzungen. Die Folge: Wer von nichts weiß, muss nichts tun.
Dieser Ansatz fällt weit hinter die UN Leitlinien für Wirtschaft und Menschenrechte (UNGPs) zurück. Das zentrale Vorsorgeprinzip der UNGPs soll dazu dienen, Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung zu verhindern, bevor sie eintreten – und zwar entlang der gesamten Lieferkette.
Die Verstöße gegen Kinderrechte und Frauenrechte in der Tabakproduktion ereignen sich im Globalen Süden aber eben am Anfang der Lieferkette: auf dem Tabakfeld, an den Trockenöfen, beim Sortieren des Rohtabaks.
Nein, nicht ausreichend. Im Entwurf ist die Umwelt nicht als eigenständiges zu schützendes Gut verankert. Die umweltbezogenen Sorgfaltspflichten sind dort stark eingegrenzt, und zwar auf zwei spezifische Abkommen und einige Umweltgüter wie z.B. Wasser oder Boden in Verbindung mit Menschenrechten. Schleichende Umweltzerstörungen, die nicht unmittelbar zur Verletzung von Menschenrechten führen, sind nicht im Gesetz inbegriffen. Und weder Biodiversität noch Klima finden Berücksichtigung im Gesetz.
Mit einem Klimafußabdruck von jährlich 84 Mio. Tonnen CO2-Äquivalenten stößt die Tabakindustrie soviel CO2 aus wie zweimal Dänemark oder etwa so viel wie Österreich. Der größte Teil dieser Klimaschäden entsteht durch Tabakanbau und Tabaktrocknung. Hauptursachen sind hier die Abholzung von Wäldern und Pestizid-Einträge in Gewässer. Nach dem aktuellen Entwurf müssten Tabakfirmen sich überhaupt nicht mit diesen Umweltzerstörungen befassen.
Nein, das können sie nicht. Der Entwurf enthält keinerlei zivilrechtliche Haftungsregelungen. Menschen, deren Rechte durch die Aktivitäten von Unternehmen verletzt werden, können diese Firmen nicht selbst auf Entschädigung verklagen.
Stattdessen sieht der Entwurf vor, dass Geschädigte deutsche Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen zur zivilrechtlichen Prozessführung in Deutschland ermächtigen können (Prozessstandschaft). Doch dies ersetzt keineswegs eine zivilrechtliche Haftungsregel, welche bei Schadensfällen im Ausland die Anspruchsgrundlagen für Betroffene vor deutschen Zivilgerichten stärken würde.
Wie wichtig eine solche Haftung ist, zeigt sich in Großbritannien. Dort haben im Dezember 2020 tausende Tabakfarmer*innen aus Malawi und ihre Kinder British American Tobacco und Imperial Brands auf Entschädigung für das System der Ausbeutung im Tabakanbau verklagt. Grundlage ist das britische Gesetz gegen moderne Sklaverei (Modern Slavery Act 2015) in Verbindung mit der UN-Kinderrechtskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention.
Laut Gesetzesentwurf sollen 65 Vollzeitstellen im Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) geschaffen werden. Sie sollen die Berichte der Unternehmen prüfen und risikobasierte Kontrollen durchführen.
Die Ausgestaltung der Behörde und ihrer Kompetenzen ist im Entwurf nicht konkretisiert und soll durch eine Verordnung des Arbeits- und des Wirtschaftsministeriums geregelt werden. Allerdings ist davon die Wirksamkeit des Gesetzes stark abhängig.
Außerdem untersteht das BAFA dem Wirtschaftsministerium, das in den letzten Monaten der größte Blockierer für ein wirksames Lieferkettengesetz war und außerdem u.a. von der Tabakindustrie stark lobbyiert wird. Dieser Interessenkonflikt wird vermutlich einen entscheidenden Einfluss darauf haben, in welchem Maß die Einhaltung des Gesetzes kontrolliert wird.
Das Gesetz muss gegen Kinderarbeit im Tabakanbau, gegen die Verletzung von Frauenrechten in der Tabakproduktion und auch gegen die Abholzung von Wäldern wirksam sein. Deshalb fordern wir deutliche Nachbesserungen:
Im Gegensatz zur deutschen Regierung will das Europäische Parlament ein wirksames Gesetz, das sich viel stärker an den Grundsätzen der UNGPs orientiert. Mit großer Mehrheit verabschiedeten die EU-Abgeordneten eine Resolution für ein ambitioniertes europäisches Lieferkettengesetz.
Auf EU-Ebene soll das Gesetz:
Besonders interessant: Fast alle deutschen EU-Abgeordneten haben für einen verbindlichen, wirksamen Schutz von Menschenrechten und Umwelt entlang der gesamten Lieferkette gestimmt.
Wenn die EU vorangeht, kann und muss Deutschland nachziehen. Wir setzen uns gemeinsam mit der Initiative Lieferkettengesetz weiter dafür ein, dass der Gesetzesentwurf deutlich nachgeschärft wird. Jetzt ist es an den Bundestagsabgeordneten, im parlamentarischen Prozess für verbindliche, wirksame Regeln einzutreten. Erinnern wir sie an ihre Verantwortung – schreiben auch Sie an Ihre Abgeordneten einen Lieferkettenbrief.
Ein Lieferkettengesetz muss für die gesamte Lieferkette gelten und unbedingt eine Haftungsregelung enthalten – sonst wirkt es nicht gegen die Kinderarbeit im Tabakanbau und die immensen Umweltschäden!